Der blitzende reiter

Als 955 die Ungarn von Benediktbeuern herkamen, flüchtete das Volk am Staffelsee mit seiner Habe über den kümmerlichen Steg, der vom Steganger bei Seehausen nach der Insel zum klösterlichen Sitze führte. Auf Sicherheit hoffend, zerstörte man die Verbindung zum Lande.
Aber die Hunnen schwammen mit ihren kleinen Rößlein hinüber, verbrannten das von St. Bonifatius eingeweihte und von St. Simpert zur Episkopalkirche erhobene Gotteshaus und säbelten die ganze Bevölkerung nieder. Der Anger heißt noch das Beinfeld mit dem Beinhölzl von den Totenbeinen, die man dort findet.
Wegen dieses grässlichen Mordens lässt die Sage den Hunnenhäuptling noch immer am Karsamstag beim Aveläuten über den See reiten.
Längst weiß man durch die Funde von auffallend kleinen Hufeisen im Schlick des flachen Ufers vor der Wörth – sie waren lange Zeit in der sehr beachtenswerten Heimatsammlung des Bräumeisters Krötz vom Pantlbräu am Burggraben zu Murnau aufbewahrt – dass die Ungarn anno 955 auf ihren kleinen flinken mongolischen Steppenpferdchen den See durchschwammen und zum Kloster auf die große Wörth hinübersetzten. Alle Insassen des Stiftes haben sie dort hingemordet, auch die Klosterkammern und die Kirche geplündert.
Soll Etzel selbst, der mächtige Hunnenfürst bei diesem Raub dabei gewesen sein, will die Sage wissen, aber auch, dass heute noch unschuldige Kinder Gesichte vom blitzenden Reiter haben, der über den See springt mit dem Ziele zur großen Wörth.
Der fünfjährige Christoph Miller, Sohn des Inselherren, hatte einst – zahnleidend – nicht zum „Ave Maria“ den Weg nach dem Kapellenberg gemacht, sondern horchte dem Kirchgesange am Fenster zu. Auf einmal rief er: „Da, schau, Mutter!“ Diese wehrte ihn ab, bis Gebetzeit vorüber sei. „Was hast du denn?“ war dann die Frage. „Ein Reiter ist über den See geritten, ich hab‘ ihn deutlich gesehen“ antwortete der Knabe und dies beteuerte er noch als erwachsener Mann. Den Weg nahm die blitzende Erscheinung von der Halbinsel her, wo man zur Überfahrt einzusteigen pflegt.