Die rose vom Staffelsee

Unfern dem Landeplatz des Dorfes erhebt sich, hart am Ufer des Sees emporsteigend, ein Hügel, an dessen Fuße sich ein kleines steinernes Monument, mit einem einfachen eisernen Kreuze geschmückt, befindet. Kaum einer der Einheimischen weiß heute mehr zu sagen, was es mit dem Marterl für eine traurige Bewandtnis hat.
Vor mehr als einem Jahrhundert stand am Ufer des Sees, unterhalb dieses Hügels, ein einfaches Fischerhäuschen. Man sah ihm von außen die Armut an, aber auch, dass es von jemandem bewohnt sein müsse, dem Liebe zu der Natur, Reinlichkeit und Ordnungssinn eigen war. Das Gärtchen an dem Haus bewies dieses deutlich, denn es war wohlgepflegt, die schönsten Blumen blühten in demselben. Den Zaun bedeckten die dunkelgrünen breiten Blätter des Kürbis` und waren bis zu der Haustüre hinübergezogen, welche so über dieser fast eine natürliche Laube bildeten. Hinter den hellen Fenstern gewahrte man blendend weiße Vorhänge und auf der kleinen Altane waren die Fischernetze ausgespannt. Auf dem Firste des Hauses war eine eisernes Kreuz angebracht, das Schindeldach mit Steinen beschwert, damit Sturm und Wind es nicht entführen konnten.
In diesem Häuschen waltete Rose, ein zwanzigjähriges Mädchen, ganz alleine. Sie war eine Doppelwaise, der Vater erst vor kurzer Zeit einem längeren Siechtum erlegen. Auch die Mutter ruhte schon im Friedhofe des Dorfes. Man nannte sie allgemein nur die "schöre Rose vom See",  welchen Namen sie auch in der Tat allein verdiente, denn ein lieblicheres Gesichtchen mit offenen hellen Augen sah man weit und breit nicht mehr. So schön sie war, ebenso sittsam, fleißig und brav war sie und niemanden im Dorfe noch in der Umgebung gab es, der sie nicht geachtet und ihr zugetan war. Die jungen Burschen getrauten sich in ihrer Nähe keine unrechten Worte auszusprechen, denn sie wussten, dass ein solcher von ihr immer gemieden wurde. So war sie in dem einsamen Häuschen geschützt und gefeit. Der See gab ihr den nötigen Unterhalt und glücklich und zufrieden lebte das Mädchen dahin.
Hans, der Sohn des reichen Seebauern warb um sie, ein hübscher und braver Bursche, und wurde wieder geliebt. Sie machten aus ihrer Zuneigung auch kein Hehl und Hans wurde ordentlich stolz auf seine Rose, wenn man ihm zu seiner Wahl Glück wünschte und ihm an der Seite eines solchen Weibes eine frohe Zukunft in Aussicht stellte. Anders aber dachte sein Vater, der Seebauer. Der hatte für seinen Sohn schon lange die Tochter des Griesbräu aus dem nahen Markte bestimmt und war daher nicht sehr erbaut, als er von der Liebe seines einzigen Sohnes erfuhr und dieser offen eines Tages vor ihn trat und ihn um seine Einwilligung bat, Rose als sein Weib heimführen zu dürfen. Es gab einen heftigen Streit zwischen den beiden, welcher sich noch öfter erneuerte, trotz der Unterstützung, welche die Seebäuerin ihrem Hans angedeihen ließ, weil sie die hübsche und brave Rose lieber als ihre Schwiegertochter im Hause sah als die hässliche und geizige Bräuerstochter.
Rose, welche die Beweggründe wohl kannte, die die Abneigung des Seebauern gegen sie hervorrief – es war ihre Armut – drang nun in Hans, von ihr zu lassen, sie wolle den Frieden in seinem Hause nicht stören. Allein gerade diese Entsagung bestärkte Hans in seiner Liebe noch mehr und er schwur hoch und teuer, dass er lieber ledig bleiben, als eine andere heiraten werde. Er habe gerade einen so halsstarrigen Kopf als wie sein Vater. So war in gegenseitigem Dulden ein Jahr vorübergegangen. Da kam auf einmal die Kunde, dass die Franzosen den Krieg erklärt hätten und bereits an den Rhein vorrückten. Was an tauglichen Burschen vorhanden war, wurde ausgehoben. Dass Hans nicht dem gleichen Schicksal verfiel, hatte er nur dem Umstande zu verdanken, dass er das bestimmte Alter schon überschritten hatte.
Am Morgen des Tages aber, als die Burschen das heimatliche Dorf verlassen mussten, trat Hans vor seinen Vater und erklärte ihm fest und bestimmt, er werde, wenn er nun nicht sein Jawort gebe, augenblicklich sein Bündel packen, mit den Burschen fortziehen und sich freiwillig beim Militär einreihen lassen. Ihm sei es ganz gleich, wie es dann gehe, in der Heimat gebe es so keine Freude mehr für ihn. Der Alte kannte seinen Sohn zu gut, um nicht zu wissen, dass dieser seine Drohung erfüllen werde, wenn er sich noch länger weigerte. Damals hielt man es für eine unaustilgbare Schande, wenn ein Bursche freiwillig Soldat wurde. Und ihm, dem reichsten Bauern in der ganzen Gegend, wollte der einzige Sohn diese Schmach antun. Erst langte er bedenklich nach dem Kopfe und meinte, er solle nur zugehen. Als aber die Bäuerin dann zu weinen und zu jammern anfing, wurde er doch weicher gestimmt und nach langem Hin und Her reden, Schimpfen und Räsonieren musste er doch in den sauren Apfel beißen und gab endlich seine Einwilligung.
Hans sprang vor Freude in die Höhe und mit einem Juchzer, wie er seiner Lebtage noch keinen ausgestoßen, eilte er aus dem Hause, um seiner Rose die freudige Botschaft zu überbringen. Diese konnte sich anfänglich gar nicht fassen und hatte nur Tränen für das Glück, dass ihr diese Stunde bereitete. In vier Wochen schon sollte Hochzeit sein, so bestimmte Hans. Im ganzen Dorfe, bei alt und jung, herrschte nur eine Stimme über diese glückliche Wendung und selbst der Seebauer machte von diesem Tage an eine zufriedenere Miene. Acht Tage waren noch bis zu ihrer Vereinigung. Alle Vorbereitungen waren geschehen, die Einladungen zu der Hochzeit erfolgt. Sie sollte so großartig wie nur möglich abgehalten werden.
Hans ging an einem schwülen Julinachmittage an dem Häuschen seiner Braut vorüber, um diese in Kenntnis zu setzen, dass er noch auf die Insel hinüberfahre, um das dürre Heu herüberzuschaffen, denn alle Anzeichen deuteten darauf hin, dass die gute Witterung bald vorüber sein werde. Rose ging mit ihm an den See hinab, half ihm den Kahn losbinden und ermahnte ihn, noch vor völliger Dunkelheit zurückzukehren. In seinem Eifer gewahrte aber Hans nicht, dass sich nach einer Stunde ein drohendes Gewitter drunten am Hohenpeißenberg zusammenzog. Die Gewitter aus dieser Gegend gelten in der ganzen Gegend als besonders heftig und gefährlich und jedermann prüft mit ängstlichen Blicken, nach welcher Richtung sie sich entladen werden. Erst als der Wind heftiger zu wehen begann und die Dunkelheit stärker wurde, sah Hans auf. Er war aber gerade mit der Arbeit fertig, der Kahn mit dem duftenden Heu gefüllt, bis das Gewitter ausbrach, hatte er schon lange das andere Ufer erreicht.
Er stieß von der Insel ab und ruderte mit allen Kräften dem Ziele zu. Kaum aber hatte er die Hälfte zurückgelegt, als plötzlich aus dem Winde ein Orkan wurde. Die Wellen wurden immer höher und brachen sich brandend an den Ufern. Der Sturmwind heulte von Norden her und trieb den Kahn immer mehr der Mitte des Sees zu. Hans ruderte aus Leibeskräften, aber gegen diese entfesselte Macht konnte er nicht an. Dazu stürzte nun der Regen in Strömen hernieder und vermehrte das Verzweiflungsvolle seiner Lage. Wenn der Wind nicht eine andere Richtung  nahm., so war er verloren. Der Angstschweiß stand ihm auf der Stirn. 'Da, auf einmal ein mächtiger Ruck, der Kahn neigte sich auf die Seite; das Wasser drang ein, dann. sank er und riss den Unglücklichen mit  sich  in die  Tiefe.  Er war an einen mächtigen Baumstamm angefahren, den die angeschwollenen Gewässer in den See geschwemmt hatten.
Rose war mehrmals an das Ufer geeilt und hatte soweit das Auge reicht, gespäht, ob der Geliebte nicht zurückkehren werde. Anfangs glaubte sie, er werde vor dem Unwetter Schutz auf der Insel gesucht haben. Allein, Stunde um Stunde verrann, die Sonne strahlte wieder in voller Klarheit, aber Hans kam nicht. Sie eilte voll bangen Gefühles auf den Seehof. Auch hier wusste man nichts. Das ganze Dorf wurde nun aufgeboten, nach dem. Vermissten zu suchen. Die Nacht verging. Nun war kein Zweifel  mehr, dass ihn das Unglück ereilt hatte. Drei Tage waren vergangen, da spülte der See auf der südlichen Seite der Insel den Leichnam an eine Sandbank, wo er von Kindern entdeckt wurde.
Den Schmerz des Mädchens zu schildern, wäre vergebens. Der Seehofbauer nahm die Trostlose zu sich, die sich aber von diesem Schicksalsschlage nicht mehr zu erholen vermochte. Halbe Tage saß sie auf dem Grabhügel, der das Teuerste barg, was sie besaß, wand aus Blumen Kränze und hing sie an dem Kreuze auf. Immer schweigsamer und verschlossener wurde sie, bis endlich völlige Geistesnacht sie umfing. Fast jeden Abend stand sie droben auf dem Hügel und blickte hinüber zu der Insel, den Geliebten erwartend; und wenn dann die Sonne unterging, kehrte sie gesenkten Hauptes und langsamen Schrittes zurück.
Eines Abends aber wartete die Bäuerin vergebens auf sie. Sie sandte auf den Hügel, um die Unglückliche zu holen. Doch sie war verschwunden. Man fand auch niemals ihren Leichnam. Von allen, die sie kannten, wurde sie tief betrauert. Das brave Mädchen hätte ein glücklicheres Los verdient!
Als man ihr Häuschen niederriss, wurde das eiserne Kreuz von dem Giebel genommen, auf einem Stein angebracht und am Ufer unter dem Hügel eingesenkt. Dort ist es heute noch zu sehen.
Man erzählt sich, dass seit jenem traurigen Ereignisse weiße Seerosen aus dem Grunde des Staffelsees emporwachsen. Sie gemahnen an den frühen Tod einer unglücklichen Braut.